Das Leben des Künstlers
Der deutsche Maler und Grafiker EGGERT GUSTAVS (1909-1996) gehört zu den bedeutendsten Hiddenseer Künstlern. Die Ostsee-Insel Hiddensee – vielfach als die „Insel der Maler und Dichter“ bezeichnet – war seine Heimat. Künstler und bedeutende Persönlichkeiten zog es schon seit den 1920er Jahren auf die Insel. Viele von ihnen lernte der junge Gustavs persönlich kennen.
Maler wie Willi Jaeckel und Elisabeth Büchsel, aber auch berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen wie Elsa Wagner, Asta Nielsen, Otto Gebühr und der Kabarettist und Schriftsteller Joachim Ringelnatz weilten oft auf Hiddensee. Sie und viele andere verkehrten in seinem Elternhaus, im Pfarrhaus des Inselpastors und Altorientalisten Lic. Arnold Gustavs und seiner Ehefrau Helene. Diese Gäste verliehen dem Sommerleben eine besondere Atmosphäre, die den Heranwachsenden beeindruckte und anregte – ebenso wie die Freundschaft des Vaters mit dem großen deutschen Dichter und Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann. So wuchs Eggert Gustavs gemeinsam mit seinen drei Geschwistern in weltoffener, den Künsten und der Wissenschaft gleichermaßen aufgeschlossener Atmosphäre heran.
Der Traum, Architekt zu werden, zog den jungen Gustavs nach Hamburg auf die Landeskunstschule. Doch schon bald fühlte er sich dort stilistisch gegängelt. Er fürchtete um seine Freiheit, seine eigene künstlerische Handschrift. Zudem galt sein Interesse mehr und mehr der Malerei und Grafik. In Berlin auf dem Bauhaus traf er Wassily Kandinsky. Er war fasziniert von dessen Vorlesungen und der persönlichen Bekanntschaft mit diesem damals schon weltberühmten, herausragenden Avantgardisten der Weltkunst. Kandinsky war wohl der einzige Künstler seiner Zeit, den Gustavs als Vorbild anerkannte. Nach der Schließung des Bauhauses entschied er sich schließlich, seinen Weg allein weiterzugehen – als Autodidakt und freischaffender Künstler.
Sein Lebensweg war überschattet durch vielerlei Krankheiten. Mit eiserner Selbstdisziplin und starken Einschränkungen in seiner Lebensführung konnte er jedoch das hohe Alter von 86 Jahren erreichen. Mehrfach hat er nur durch glückliche Umstände überlebt. So auch, als ihm 1945 unter Granatwerferbeschuss ein Packen Fotos das Leben rettete. Erst nach Tagen fand er einen stecken gebliebenen Granatsplitter zwischen den Familienfotos, die er in seiner Brieftasche am Herzen trug.
Eggert Gustavs – als echter Insulaner – war ein Hiddenseer Künstler im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Schaffen war zeitlebens durch die Liebe zu seiner Heimat geprägt. Wohl niemand sonst hat die Insel in solch einer Vielfalt der Motive und Stimmungen, in ihrer herben Schönheit und versteckten Lieblichkeit mit so sicherer Meisterschaft und hohem Ausdrucksvermögen erfasst und mit unterschiedlichsten Techniken dargestellt!
Wenn auch das Aquarell und der Holzschnitt seine wichtigsten Ausdrucksmittel waren – und hier beeindruckt die Spannweite vom zartesten Aquarell über sensible Druckgrafik bis hin zum scharfen, kraftvollen Linol- oder Holzschnitt – so erstaunt immer wieder die Vielseitigkeit des Künstlers. Ob Pinsel- oder Rohrfederzeichnung, Öl, Pastell, Bleistift, Glasdruck oder figürliche Holzschnitzereien – immer schuf er unverkennbar eigenständige Werke. Besonders auch im Porträt und in der Karikatur verwirklichte er sein Bestreben, Typisches mit knappen künstlerischen Mitteln festzuhalten. Ihn faszinierten, wie er einmal formulierte, das „Gesicht der Landschaft“ und die „Landschaft des Gesichtes“.
Tausende von Besuchern haben im Laufe der Jahrzehnte die Dauerausstellung in seiner Künstlerklause im HAUS GUSTAVS auf Hiddensee besucht und beim Betrachten der ausgestellten Arbeiten in angeregtem Gespräch – nicht nur über Kunst, Künstler und Hiddensee – die Zeit vergessen. Dabei war er seinen Gästen stets ein aufgeschlossener und weltoffener, interessierter und interessanter charismatischer Gesprächspartner. Für vielerlei Bereiche des Lebens, des Erdentreibens und des Daseins interessierte er sich – auch für Wort und Sprache. Mit Humor und Lebensweisheit hat er viele Gedichte, Fabeln, Aphorismen und hintersinnige Wortspiele verfasst.
Lange Jahre lebte und arbeitete Eggert Gustavs jeweils im Sommerhalbjahr auf Hiddensee und im Winterhalbjahr in Neuruppin (Land Brandenburg) bei seiner Familie – seiner Frau, der Tänzerin und Tanzpädagogin Irene Tourneau-Gustavs, und den sechs Kindern. Hier hat er in vielen Bildern die Ruhe und Beschaulichkeit der märkischen Landschaft, die Seen und Wälder der Ruppiner Schweiz eingefangen, die Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beschrieben hat. Weitere Motive für sein Schaffen fand der Künstler in den Südtiroler Alpen, in Frankreich und im Harz, aber vor allem auf seiner geliebten Insel Hiddensee.
Im Atelier in seinem Haus am Neuruppiner See malte er, schnitt neue Werke in Linoleum und Holz und fertigte in Handarbeit Fotokarten mit Hunderten verschiedener Reproduktionen seiner Bilder. Zigtausende dieser Kunstkarten wurden verkauft und förderten seine Popularität. Mit immensem Fleiß, einer reichen Fantasie und nie nachlassender Kreativität – gepaart mit einem hohen Maß an schonungsloser Selbstkritik in Bezug auf sein Schaffen – ging er seinen Weg.
1994 übereignete Eggert Gustavs einen bedeutenden Teil seiner künstlerischen Arbeiten dem Heimatmuseum seiner Heimatinsel als Schenkung. 1996 hat sich der Lebenskreis des Künstlers geschlossen. Nicht weit entfernt von seinem Geburtshaus in Kloster auf Hiddensee hat Eggert Gustavs unter einem Findling mit eigenhändig gemeißeltem Signum seine letzte Ruhe gefunden.
Anlässlich des 100. Geburtstages des Künstlers wurde sein Lebenswerk mit der Herausgabe des Buches „Eggert Gustavs – Leben und Werk eines Hiddenseer Künstlers“ gewürdigt. Aus demselben Anlass zeigten das Museum in Neuruppin und das Heimatmuseum der Insel Hiddensee 2009 in umfangreichen Ausstellungen ca. 150 Werke des Künstlers.
In der spanischen Kunstmetropole Barcelona wurde mit der Eggert Gustavs Ausstellung vom 17.06. – 18.07.2010 an herausragender Stelle einmal mehr das Schaffen des bedeutenden Malers und Grafikers gewürdigt. Der Präsident des Königlichen Kunstzirkels, Prof. Fèlix Bentz, hatte nach dem Besuch einer Gustavsausstellung in Deutschland die Eggert Gustavs Gesellschaft e.V. eingeladen, in seinem ehrwürdigen Haus, im berühmten Palacio Pignatelli, einen repräsentativen Querschnitt aus dem Œuvre des Künstlers zu zeigen. Der Ehrenvorsitzende dieses 1881 gegründeten Kunstzirkels ist der König von Spanien, S. M. Juan Carlos I.
„[…] bei einer Erkundung zu fünft [1945 an der Ostfront] kamen wir unter Beschuss von Granatwerfern. Ich erhielt eine Ladung vieler kleiner Splitter, vor allem in Hand, Hals und durch die Wange in den Mund. […] Übrigens rettete mir auch der Packen Familienfotos in meiner Brusttasche das Leben, ohne den ein Granatsplitter direkt das Herz getroffen hätte. Nach Tagen fand ich den Splitter zwischen den Fotos, wo er steckengeblieben war.“
Eggert Gustavs
Seine Frau – Die Tänzerin
Irene Gustavs (1909-1994) wurde als Tochter des Kaufmanns Wilhelm Tourneau und seiner Ehefrau Margarete, geb. Ebell, in Neuruppin geboren. Ihr Großvater Carl wurde 1910 als Stadtältester und Ehrenbürger Neuruppins ausgezeichnet. Ihre beruflichen Interessen lagen auf den Gebieten Sport, Tanz, Medizin und Architektur. Sie absolvierte zunächst eine Ausbildung als Tänzerin und Choreografin in Berlin an der Trümpy-Günther-Schule ‒ stark beeinflusst von den damaligen Protagonisten auf dem Gebiet des modernen Ausdruckstanzes Gret Palucca, Mary Wigman und Harald Kreutzberg. Es folgte die Ausbildung zur Tanz- und Gymnastiklehrerin. An der Universität zu Berlin absolvierte sie zudem Kurse in Anatomie und Physiologie.
1934 heiratete Irene Tourneau den Hiddenseer Maler und Grafiker Eggert Gustavs, den sie auf Hiddensee kennenlernte. Mit seiner Unterstützung als Tanzpartner und Werbegrafiker gründete sie die „Schule für Gesellschaftstanz und Gymnastik“ im Neuruppiner Elternhaus am Paradeplatz. Das war zu damaliger Zeit eine ungewöhnliche Lebensplanung für eine junge Frau. Ebenso ungewöhnlich wie ihre Hochzeitsreise, die sie nach der standesamtlichen Trauung in Neuruppin mit Fahrrad und Zelt nach Hiddensee führte, um sich vom Schwiegervater, Pastor Arnold Gustavs, kirchlich trauen zu lassen.
Während der ersten Berufsjahre veranstaltete sie oft Solotanzabende ‒ unter anderem nach Musik von Schubert, Beethoven, Mozart und Weber ‒ mit eigenen Choreografien und mit selbstentworfenen Kostümen. Ihre Auftritte in Neuruppin, Magdeburg und Berlin ‒ an der Volksbühne und im Grand Hotel Esplanade ‒ aber auch auf Hiddensee waren stets sehr erfolgreich. Ihre Pläne, eine künstlerische Laufbahn als Tänzerin einzuschlagen, hat sie allerdings zugunsten der eigenen Familie mit 6 Kindern aufgegeben. Dennoch haben Generationen bei ihr das Tanzen und gute Umgangsformen gelernt. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet und schaffte es mit ihrer Tanzgruppe bis ins Fernsehen. Sie schrieb einmal: „Tanz ist für mich Ausdrucksform gesteigerten Lebens. Stimmungen und Zustände der menschlichen Seele finden in den Tänzen geformten und geklärten Ausdruck.”
Irene Gustavs war weltoffen und interessiert am politischen Geschehen. Die persönliche Bekanntschaft mit Eva Strittmatter bereitete ihr ebenso Freude wie ihre Besuche bei Gret Palucca in Dresden und auf Hiddensee. Ehemalige Tanzschülerinnen schwärmen noch heute von ihrer tollen, immer jung gebliebenen Tanzlehrerin, die ihnen beim Training noch mit 70 Jahren einen Spagat vorturnte. Auch ihr Enkel Heiko denkt gerne an den Tanzunterricht und das Vortanzen mit seiner Großmutter. Modern und unabhängig im Denken, kreativ und fleißig, dabei voller Frohsinn, Heiterkeit und Optimismus ‒ so ist Irene Gustavs im Gedächtnis vieler Neuruppiner geblieben.